Begründung meiner heutigen Abstimmung zu Griechenland

Ich habe heute dem Antrag der Regierung auf Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an Griechenland zugestimmt.

Ulli Abst.

Für mich geht es nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen. In Richtung der Bundesregierung muss ich trotz meiner Zustimmung aber kritisch anmerken, dass mir in dem Antrag der Regierung etwas fehlt, und zwar die soziale Komponente. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Derivaten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland, sind die Menschen aus dem Blick geraten. Gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion fordern wir die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum of Unterstanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele, auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizinische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein, bis die Suppenküchen geschlossen werden können.

In der Begründung des Antrages geht der Bundesfinanzminister auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentagfähigkeit Griechenlands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen Voraussetzungen.

Wir sprechen, nach dem 1. Programm und dem 2. Programm nun vom 3. Hilfsprogramm für Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur „mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grüßen… Deshalb sei zunächst aus Sicht Geldgeber (selbst-)kritisch anzumerken, dass die Austeritätspolitik (Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Privatisierung…) der letzten fünf Jahre in Griechenland gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfsprogramme an Griechenland einseitig darauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Haircut, so dass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt (herausgekauft) wurden. Deshalb hat die SPD Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der Eurozone liegt sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro, das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lag dies noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölkerung haben die Banken und Spekulanten von der Krise profitiert – drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern.

Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt, warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und BM Schäuble verhandelte zweite Griechenland-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“ auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit vielen seiner damaligen Befürchtungen (abgesehen von seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in Griechenland) richtig prognostiziert hat. Und gleichwohl hat er dem Bundestag empfohlen zuzustimmen.

Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll:

„Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politischen Interesse Deutschlands ist (Lachen bei Abgeordneten der FDP) und drittens weil es um das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!)

Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renationalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte – mit dem Auftauchen von ziemlich unseligen Geistern, die diese Renationalisierung befördern und nutzen würden“ Soweit Peer Steinbrück zum zweiten Griechenland-Paket.

Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht so funktioniert haben, wie gedacht?

Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen – wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme: Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Aufträge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbeiterprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in Folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung.

Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechenland weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Griechenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Sparen im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist.

Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutschland erfolgreichen Maßnahmen, in Griechenland lediglich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären. Gut dass nach dieser Logik niemand fragt, um wie viel besser unsere Strukturen heute sein könnten, wenn wir statt Konjunkturprogramen und Schutz der Arbeitsplätze, die Arbeitnehmer entlassen und den noch arbeitenden die Löhne und den Rentnern die Rente gekürzt hätten.

Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ableiten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktionieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage, die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen die daraus zu ziehen äußerst kompliziert und komplex.

Statt sich nun dieser komplexen Aufgabe zuzuwenden, schlägt der Deutsche Bundesfinanzminister eigenmächtig mit gütiger Billigung der Kanzlerin den Austritt Griechenlands aus dem Euro vor – am Deutschen Parlament vorbei. Den Grexit. Grexit auf Zeit. Und das nicht an irgendeinem Tag. An dem Tag, an dem er gleichzeitig den Antrag der Regierung auf die Stabilitätshilfe und Absicherung der Brückenfinanzierung für Griechenland beim Deutschen Bundestag beantragt. Die Kanzlerin verhandelt etwas und lässt gleichzeitig das Gegenteil vorschlagen. Weder waren alle Minister informiert, noch die Ausschüsse des Bundestages. Das wirft ein Blitzlicht auf die Selbstwahrnehmung der Regierung und ihr Verhältnis zum Deutschen Parlament und Europa.

Die Folgen der Realisierung eines solchen Vorschlags für die Menschen in Griechenland ohne dickes Auslandskonto aber auch die Folgen für die Europäische Gemeinschaft „weil es um das Ganze geht“, werden verschwiegen, „verschwurbelt“. Kein Gläubiger bekäme einen Euro mehr zurück, die Altschulden ständen weiterhin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte Betriebs- und Investitionsmittel importieren, kein Krankenhaus  könnte sich die teuren ausländischen Medikamente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Ausländische Konzerne könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Folgen und dem Vertrauensverlust in den Euro, wäre insbesondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr dass sich radikale und extreme Kräfte Europa bemächtigen.

Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun. Auch die griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, z.B. der Steuerverwaltung an und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe, denn die großen historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orientalisch, um ein europäisches Land zu sein, und zu westlich, um zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechenlands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom fünfzehnten bis neunzehnten Jahrhundert und wie Heinz Richter beschreibt: das Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis der Griechen zum Staat und das System von Gefälligkeiten (Rousfetia) machen es nicht leicht europäische Standards anzunähern. Jedenfalls funktioniert das nicht mit erhobenem Zeigefinger sondern nur mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten frei hat (Ein Analogon zu den Bad Banks, die sich in Deutschland bewährt haben). Darum müssen sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich aufwärts geht.